Hallo,
mein Name ist Flo und ich bin 11 Jahre alt. Ich möchte Euch ein wenig von mir und meiner
Krankheit erzählen.
Bis ich 6 Jahre alt war, war ich ein völlig normales Kind, ich hatte normale Kinderkrankheiten und besuchte die erste Klasse der Grundschule. Zwei Wochen bevor sich mein Leben für immer
verändern sollte, hatte ich mein bronzenes Schwimmabzeichen gemacht und war auch sonst sehr sportlich.
Am 12.April 2011 wurde mir morgens schlecht (abends war noch alles in Ordnung), ich musste
(„Juchhu“) nicht in die Schule und meine Mutter gab mir Salzstangen zu essen, murmelte was von „doofer Magen-Darmgrippe“. Leider konnte ich mein Schulfrei nicht richtig genießen, mir ging es nämlich immer schlechter, ich war schlapp, mir war übel und ich musste brechen.
Mittags kam dann meine Oma und meinte, ich sähe ja schon so ein bißchen aus wie ein Chinese, ihr war meine gelbliche Hautfarbe aufgefallen.
Irgendwann bin ich dann aufs Klo und habe sofort meine Mutter gerufen – mein Pipi sah aus wie Cola!!!
Wir sind dann sofort in die nächstgelegene Kinderklinik gefahren – ab da war mir klar, dass ich
keine harmlose Magen-Darmgrippe hatte. Im Krankenhaus wurden wir beruhigt, es wäre schon
nichts Schlimmes, es wurde mir Blut abgenommen (ganz schrecklich), um die Organfunktion zu
überprüfen und ein Blutbild zu machen, wir wurden dann wieder nach Hause geschickt
Nachmittags packte mich meine Mutter wieder ein und wir fuhren wieder in die Klinik, ab da war mir eigentlich schon alles egal, ich habe nicht mehr viel mitbekommen.
Am besten meine Mutter erzählt euch den Rest:
Nachmittags erhielt ich dann ein Fax mit den Blutwerten (ich hatte darum gebeten) – es zeigte sich eine massive Hämolyse (Zerstörung der roten Blutzellen), eine Erhöhung der Nierenwerte (90 % seiner Nieren arbeiteten nicht mehr) und eine Gelbsucht. Auf unseren Wunsch wurde Florian dann in Absprache mit dem Oberarzt stationär aufgenommen.
Am 16. April (4 Tage nach Krankheitsbeginn) benötigte Florian dann seine erste Bluttransfusion, da sein Hämatokrit (Menge der roten Blutkörperchen) unter 6 gefallen war – unwissend, dass dies seinen Krankheitsverlauf beschleunigen würde – die Nierenfunktion (und sein Allgemeinzustand) verschlechterte sich daraufhin rapide. Unter den Kinderärzten machte sich Hilflosigkeit breit, zusammen haben wir zig Differentialdiagnosen (von zufälliger Giftaufnahme bis von Tieren übertragene Krankheiten) erörtert.
Mittlerweile hatten wir auch befreundete Ärzte mit hinzugezogen, haben viel im Internet
recherchiert – keiner hatte eine Idee. Nach weiteren 4 Tagen wurde dann die Diagnose „HUS“
(hämolytisch urämisches Syndrom) immer mehr bestätigt und sofort bakteriologische und
serologische Untersuchungen eingeleitet – Florians Zustand verschlechterte sich immer weiter,
mittlerweile war er nahezu anurisch (keine Urinproduktion mehr). Unterdessen waren wir dann mit den behandelnden Ärzten übereingekommen, dass eine Verlegung von Florian unausweichlich war und ein pädiatrischer Nephrologe (ein auf Nierenkrankheiten spezialisierter Kinderarzt) seinen Fall übernehmen sollte.
Über Ostern durfte Florian noch einmal nach Hause – die Ärzte konnten hier nichts mehr tun –
mittlerweile in einem erbärmlichen Zustand und nicht mehr in der Lage alleine zu gehen, zum
Glück hat uns die Klinik einen Leihrollstuhl zur Verfügung gestellt.
Ostermontag wurde er in die Uniklinik verlegt.
Noch am gleichen Tag wurde ihm ein Katheter in den Bauchraum eingesetzt und mit der CCPD
(kontinuierliche cyclergestützte Peritonealdialyse) begonnen – das ist ein Dialyseverfahren, bei dem über den Katheter eine Spülflüssigkeit in den Bauchraum geleitet wird, dort einige Zeit verbleibt (und in dieser Zeit harnpflichtige Substanzen wie Harnstoff und Kreatinin aus dem Körper aufnimmt) und dann wieder abgepumpt wird – dieser Vorgang wird von einer Maschine – dem sog. „Cycler“ übernommen. Für Florian waren diese Pumpzyklen immer sehr schmerzhaft.
Hey – nochmal ich, Flo – ich kann euch sagen, das war vielleicht schrecklich. Mir ging es die ganze Zeit total dreckig, selbst Chips und Pommes wollte und konnte ich nicht mehr essen. Am Anfang war der Oberarzt ja noch sauer, dass Mama mir immer so`n Kram angeboten hat (das
Krankenhausessen ist aber auch für einen Gesunden eher, na ja „nicht so lecker „), aber nachher hat er dann auch gesagt – egal, Hauptsache der Junge isst was. Hat aber auch nix genutzt – mir war nur elend und ich wollte noch nicht einmal fernsehen…..
Selbst Ostern, als ich meine Lieblingssammelkarte (Joda von Star Wars) bekommen habe, konnte ich mich nicht mehr freuen.
In Köln bin ich dann sofort in Narkose gelegt worden… noch ein Stich mehr – mittlerweile war ich schon grün und blau von den ganzen Nadeln und Zugängen die unentwegt in mich hineingestochen wurden. …. und dieses Pumpding, das war ganz schön doof – erst wird einem der Bauch mit Flüssigkeit gefüllt und nach einiger Zeit wieder abgepumpt – das tat vielleicht weh. Zum Glück hat mir Mama die ganze Zeit den Rücken massiert…. Und wenn Mama nicht da war, dann waren Papa oder Oma da und haben mir vorgelesen.
Trotz aller Maßnahmen verbesserte sich Florians Zustand nicht – die Blutwerte wurden immer
schlechter, alle diagnostischen Tests bezüglich eines auslösenden Bakteriums oder Virus waren
negativ – eine erweiterte Diagnose „aHus“ kristallisierte sich heraus.
Nach einigen Tagen kam der leitende Oberarzt aus dem Urlaub zurück und eröffnete uns relativ
schnell, dass die Dialyse alleine nicht ausreichen würde, da die Ursache des Nierenversagens nicht eine Nierenerkrankung an sich war, sondern die Folge einer generellen Gefäßentzündung und eines massiven Blutabbaus. Er leitete auch sofort weitere Untersuchungen ein, die im Zusammenhang mit der Diagnose aHus standen.
Das „ergoogeln“ dieser Krankheit war erschreckend – Berichte von Kindern, die bereits mehrmals Spendernieren erhalten hatten und diese immer wieder versagten, eine sehr hohe Sterberate usw. Es zeichnete sich das Bild einer sehr heimtückischen Krankheit ab.
Der Arzt schlug vor einen ZVK (zentralen Venenkatheter) legen zu lassen, um eine Plasmapherese (Plasmaaustausch, um Autoantikörper zu entfernen) durchzuführen. Die Operation wurde noch am gleichen Tag durchgeführt.
Nach dem Aufwachen klagte Florian bereits über Atemnot, diese verschlimmerte sich innerhalb
kürzester Zeit und es war klar, dass eine lebensgefährliche Komplikation dieses Eingriffes
aufgetreten war – eine massive Einblutung in die Brusthöhle begünstigt durch eine
krankheitsbedingte Vaskulitis (Gefäßentzündung).
Wieder ich, Flo: das war eins der schrecklichsten Erlebnisse überhaupt – das Gefühl, keine Luft
mehr zu bekommen und wurden plötzlich alle total hektisch und dann weiß ich eigentlich erstmal nichts mehr.
Florian wurde sofort auf die Intensivstation verlegt und dort in ein künstliches Koma versetzt, er
bekam mehrere Bluttransfusionen und daraus resultierte dann noch einmal eine extreme
Beschleunigung des Krankheitsverlaufs.
Als er wieder wach war war er so gut wie nicht mehr ansprechbar – sein Körper war durch massive Ödeme extrem aufgeschwemmt – er hatte ca. 8 l Wasser eingelagert (bei einem Körpergewicht -ohne Wasser- von 20 kg).
Ein Notfall-MRT zeigte zum Glück keine Hinweise auf Einblutungen ins Gehirn, der
Augenhintergund war noch in Ordnung und das Herz hatte ebenfalls noch keinen Schaden
genommen – allein die Nierenfunktion war nicht mehr vorhanden. Sein Blutdruck stieg auf Werte von 170/130 und höher (er hat geweint vor Kopfschmerzen….).
Zu allem Überfluss hatte sich sein Bauchkatheter zur Bauchfelldialyse zugesetzt, so das der Cycler nicht mehr eingesetzt werden konnte und er mit einem System für Säuglinge per Hand dialysiert werden musste (täglich mehrere Stunden lang – dank an die unermüdlichen Schwestern). Nun lief uns die Zeit davon und es wurden in schneller Folge mehrere Therapiemöglichkeiten durchprobiert – Frischplasmagabe, Gabe eines monoklonalen Antikörpers zur Unterdrückung der körpereigenen Immunabwehr usw.
Leider schlug keine dieser Therapien an, so dass uns der Oberarzt eine weitere experimentelle
Therapie vorschlug – die Gabe eines weiteren monoklonalen Antikörpers – dem Eculizimab. Da es bisher nur für eine andere Krankheit zugelassenen war (der PNH) und als das teuerste Medikament der Welt gilt, mussten wir zuerst die Zustimmung der Krankenkasse einholen. Diese hat zum Glück völlig unbürokratisch und ungeachtet der hohen Kosten sofort ihr OK gegeben (mittlerweile ist das Eculizimab für diese Indikation zugelassen). Wir stimmten ebenfalls der Therapie zu und Florian bekam die erste Gabe des Medikaments – sein Zustand besserte sich zusehends, die Hämolyse ließ nach und der Blutdruck stabilisierte sich mit
Hilfe diverser Medikamente.
Nun wurde in einer weiteren Operation sein Bauchkatheter wieder durchgängig gemacht – nun
konnte die maschinengestützte Dialyse weitergeführt werden. Mein Mann ließ sich in die
Bedienung des Cyclers schulen, um so nach Florians Entlassung eine allnächtliche Dialyse zuhause durchführen zu können.
Nach ca. 1 Woche kam es jedoch zu einer erneuten Flüssigkeitsansammlung in Florians Brustkorb– ein „Leck“ im Zwerchfell wurde vermutet, durch das das Dialysat in den Brustkorb gedrückt wurde….. – die Bauchfelldialyse wurde ausgesetzt und eine Hämodialyse („normale“ Dialyse, „Blutwäsche“) versucht… Leider war der ZVK (Halskatheter) dafür nicht geeignet – die
Durchflussrate war zu gering. Trotz der fehlenden Dialyse wurden die Nierenwerte aber nicht schlechter – und die Urinproduktion setzte wieder ein, die Nieren fingen wieder an zu arbeiten, was wir zunächst nicht so recht glauben konnten – 7 Wochen waren sie komplett ausgefallen um nun langsam ihre Funktion wieder aufzunehmen!! Nach weiteren zwei Wochen konnte Florian nach Hause entlassen werden, insgesamt war er über drei Monate im Krankenhaus, davon ein Drittel auf der Intensivstation.
Heute ist er 11 Jahre alt, bekommt er alle 2 Wochen eine Eculizimabinfusion und muss zweimal
täglich blutdrucksenkende Medikamente nehmen aber ansonsten ist er körperlich in keiner Weise eingeschränkt – die Nieren arbeiten normal und bisher zeigt er keinerlei Komplikationen. Er besucht die 6. Klasse eines Gymnasiums und ist wieder sportlich sehr aktiv.
Unsere Urlaube werden in Abstimmung mit den Infusionsabständen geplant und obwohl Florian ein nach außen hin unauffälliges Kind ist, wird er bestimmte Dinge niemals machen können bzw nur nach vorheriger gründlicher Planung inclusive Krankenhausaufenthalten wie z.B. Auslandspraktika, Schüleraustausch etc.
Natürlich machen wir uns auch Gedanken um die Zukunft – wie z.B. gibt es Spätfolgen der
Medikation? Wird das Medikament immer verfügbar und finanzierbar sein? Was ist, wenn Florian später einmal Kinder haben möchte?
Insgesamt habe wir noch einmal Glück gehabt
– dass die Medizin zum Zeitpunkt der Erkrankung schon weit genug fortgeschritten war, das
Komplementsystem als Ursache der Erkrankung gefunden zu haben,
– dass es ein wirksames Medikament gab und
– dass wir einen Arzt gefunden hatten, der beides miteinander kombinierte und die richtigen Schritte einleitete.
Wir haben uns mit der Situation bestmöglich arrangiert und für uns nochmals die Lehre gezogen – es ist nichts planbar (auf lange Sicht), das Leben ist wertvoll und man sollte jeden Tag genießen.
So, abschließend noch einmal ich, Florian. Ihr habt es ja gelesen, ich habe echt noch einmal Glück im Unglück gehabt. Obwohl es echt blöd ist, das ich alle 2 Wochen zum Arzt muss und dann da rumhänge, um mein Medikament zu bekommen – es hätte echt schlimmer ausgehen können – und alles andere: die Forschung geht weiter, wer weiß, was die noch alles herausfinden.
Euer Flo