Nachdem Neele kurz nach Weihnachten 2011 im Alter von 4 Monaten die 6-fach Impfung bekam, änderte sich unser Leben schlagartig.
Freitag der 13. Januar 2012:
Mir fiel auf, dass Neele`s Urin in der Pampers deutlich dunkler war als sonst. Auch war sie auffallend blass – ja fast weiß im Gesicht. Ansonsten war sie unauffällig: Lustig, fröhlich, vielleicht etwas weinerlicher als sonst, aber nichts, was mich beunruhigen sollte. Trotzdem hatte ich zunehmend ein wirklich ungutes Gefühl. Nachmittags kam eine Freundin vorbei und versuchte mich zu beruhigen.
Aber das ungute Gefühl blieb. Also fuhr ich spätnachmittags in die nächstgelegene Kinderklinik.
Dort wurde ihr ein Urinbeutel geklebt und als ich den Urin darin sah, wurde mir heiß und kalt: Er war nicht nur etwas dunkler als sonst, sondern er sah aus wie reines Blut.
Kurz darauf wurden wir stationär aufgenommen und Neele wurde das erste Mal Blut abgenommen. Keine Stunde später stand der Oberarzt bei uns im Zimmer und meinte: Ihr Kind muss massive innere Blutungen haben, es ist fast „blutleer“. Also schnell zum Ultraschall, aber da wurde zum Glück weder im Bauchraum noch im Kopf eine Blutung festgestellt. Gleichzeitig wurde erneut Blut abgenommen und eine Infusion angelegt. Wir wurden aufs Zimmer gebracht und Neele wurde an die Überwachung angeschlossen. In kurzen Abstanden wurden ihre Vitalzeichen kontrolliert.
Am nächsten Morgen wurden wir in die Uniklinik Köln verlegt. Schon beim Aufnahmegespräch mit der diensthabenden Nephrologin fiel das erste Mal die Verdachtsdiagnose „aHUS“.
Da es aber ja zunächst nur ein Verdacht war und wir ja auch evtl. eine EHEC-Infektion gehabt haben könnten, wurden wir erst einmal für eine Woche in einem Einzelzimmer isoliert.
Bis zur endgültigen Diagnosestellung weitere 18 Tage später war es ein ewiges Auf und Nieder der Gefühle. Neele bekam diverse Blutkonserven und Plasmakonzentrate.
Ich habe Mantra-ähnlich mir immer wieder gesagt: „Kein folgender Schub ist so schlimm wie der erste.“ Diesen Satz hatte ich irgendwo gelesen oder gehört – ich weiß es nicht mehr.
Zusätzlich belastend war natürlich die Situation für die beiden Geschwisterkinder, damals knapp 2 und drei Jahre alt. Sie bekamen natürlich unsere Ängste mit und konnten überhaupt nicht verstehen, warum Mama und Neele im Krankenhaus bleiben mussten.
Zum Glück haben wir nach gut zwei Wochen ein Zimmer im Elternhaus bekommen, so dass wir dann doch mehr zusammen waren. So war die Situation dann leichter zu ertragen.
Nach insgesamt 5 Wochen Krankenhausaufenthalt konnten wir endlich nach Hause gehen. Zunächst mussten wir alle 2 bis 3 Tage zur Kontrolle in die nephrologische Ambulanz und Neele bekam zunächst wöchentlich, dann 10 täglich und ab Sommer dann 14 täglich Plasma.
Da sie auch Blutdruckwerte hatte, die jenseits von Gut und Böse waren, mussten wir ihr 7-mal täglich Blutdrucksenker geben und fast genauso oft auch den Blutdruck kontrollieren.
Grundsätzlich sind Medikamentengaben, Überwachung etc überhaupt kein Problem für mich, da ich selber vom Fach bin, aber bei der eigenen, noch sehr kleinen Tochter….
Auch mein Fachwissen über Langzeitschäden bei Bluthochdruck und die Gefahr von Infektionen bei den regelmäßigen Plasmagaben waren an der Stelle sicherlich nicht von Vorteil.
Wie oft habe ich an Neele`s Bettchen gesessen, ihr beim Schlafen zugeschaut und hatte einfach nur Angst…
Aber der Mensch gewöhnt sich an so vieles…
Nach einiger Zeit waren die Plasmagaben schon Routine, zumal die Termine mittlerweile so gelegt waren, dass wir fast jedes Mal Elise trafen, ein 2 Jahre älteres aHUS-Kind.
Und Neele war die ganze Zeit über so ein unglaublich fröhliches Kind, da konnte ich fast vergessen, wie krank sie ist.
Seit einem Jahr geht sie auch ganz normal in den Kindergarten und wir hatten die Plasmagaben auf nachmittags gelegt, so dass sie vorher noch im Kindergarten spielen konnte.
Anfang 2014 kamen unsere behandelnden Ärzte mit dem Vorschlag, Neele auch auf Soliris umzustellen. Mittlerweile würden fast alle aHUS-Patienten, nicht nur in Deutschland, mit diesem Medikament behandelt und die ersten Beobachtungen seien sehr vielversprechend.
Ich hatte etwas Angst vor der Umstellung, zumal Neele mit den Plasmagaben recht stabil war. Aber die Blutdrücke waren noch immer nicht schön, trotz 3 verschiedener Blutdrucksenker.
Nach einem Gespräch mit Frau Dr. Schalk, die ich bei der Gründung unserer Selbsthilfegruppe getroffen habe, entschloss ich mich zur Umstellung.
Neele war für den Fall der Fälle schon ein halbes Jahr vorher gegen Meningokokken geimpft worden und so konnten wir recht schnell mit der Umstellung starten.
Neele verkraftete die Infusionen sehr gut und was wirklich unglaublich war:
Bereits nach der zweiten Soliris-Gabe konnten wir den ersten Blutdrucksenker absetzen.
Kurz darauf auch den zweiten.
Seit Ende Mai bekam Neele das Soliris zu Hause durch einen Kinderkrankenpflegedienst.
Das war wirklich sehr praktisch und hatte unglaublich viele Vorteile:
Nicht nur, dass Neele viel einfacher zu bespaßen ist (für fast 3 jährige Kinder ist das Rumsitzen nun einmal nicht das Schönste oder Einfachste), auch können die beiden großen Geschwister dabei bleiben und ich muss nicht jedes Mal eine Betreuung für sie finden.
Zudem fiel die Fahrtzeit weg, was auch hin und zurück fast 3 Stunden waren.
Leider hielt diese Situation nicht sehr lange vor: Ende des Jahres 2014 mussten wir den verbliebenen Blutdrucksenker bis zur Maximalgrenze erhöhen, damit die Blutdrücke einigermaßen im Rahmen blieben. Auch häuften sich die Infekte und Neele`s Belastbarkeit wurde immer schlechter, was sich keiner erklären kann, da die Befunde keine Ursache aufzeigten.
So wurde Neele dann im Frühjahr 2015 wieder auf Plasma umgestellt, da sie darunter ja auch vorher schon stabil war.
Leider gibt es weder für die Therapie noch für das erstmalige Auftreten der Erkrankung feste Regeln oder eindeutige Symptome.
Bei uns hat „aHUS“ schon fast eine Familientradition: Bei Neele`s Oma ist diese Erkrankung bei der zweiten Schwangerschaft ausgebrochen und sie ist leider wenige Jahre später gestorben, Neele`s Vater ist Träger ohne Symptome und Neele ist schon sehr früh erkrankt.
In vielen anderen Familien ist die Erkrankung vorher noch nie aufgetreten.
Die einen sind schon fast im Teenie-Alter wenn die Erkrankung ausbricht, die anderen noch ein sehr kleines Baby. Auch die Symptome sind oftmals sehr unterschiedlich und bringen viele Erkrankte zunächst auf die Intensivstation und / oder an die Dialyse
Aktuell:
Seit März 2016 probieren wir wieder die Soliris-Therapie und im Moment scheint Neele darunter stabil zu sein.
Diese Geschichte wurde im Sommer 2019 in der Zeitschrift „Der Nierenpatient“ (4/2019) veröffentlicht. Den Artikel und ein Interview mit Christiane könnt ihr hier lesen: Download PDF